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Der Rahmen muss stimmen

Lieben und geliebt werden ist so eine Sache in unserer Gesellschaft. Wir werden kaum um unserer selbst willen geliebt, einfach weil wir existieren. Wir müssen uns die Liebe verdienen. Im Leben gibt es nichts umsonst, das lernen wir schon als Kinder. Die Bedingungen sind klar definiert. Sei genauso, wie deine Eltern dich haben wollen. Tue alles, um sie zufrieden und glücklich zu machen. Sei brav und fleissig und begehre nicht auf. Vergiss deine eigenen Bedürfnisse, sei nicht zu laut, zu faul, zu eigensinnig. Wir lernen schnell, dass wir dann Liebe bekommen, wenn wir uns anpassen. In der Schule lernen wir, dass wir geliebt werden, wenn wir Leistung erbringen und zwar genau die gewünschte. So konditioniert, sind wir bestens gewappnet für das Berufsleben. Auch hier gilt, wenn wir die exakt auf den vorgegebenen Rahmen geforderte Leistung erbringen, sind wir erfolgreich, was wir als Synonym für geliebt hernehmen können. Und wehe, wir weichen von diesem engen Rahmen ab. Dazu müssen wir natürlich noch andere Bedingungen erfüllen. Denn wir leben in einer Welt, in der alles gemessen und gewogen wird. Höhe, Länge, Breite und Umfang müssen stimmen und zwar in den richtigen Proportionen. Gewicht, Farbe und Textur ebenfalls. Die Zähne müssen weiss sein, aber die Haare bitte nicht. Unsere Haut soll genauso faltenfrei wie unser Charakter mackenfrei sein. Natürlich ist es keine Frage, dass man sich nach der neuesten Mode kleidet. Und lasst es euch ja nicht einfallen, älter zu werden, denn das ist die grösste Unverschämtheit überhaupt. Was nicht passt, wird weggeworfen. Wie ein Lebensmittel, das erst einen Tag über dem Verfallsdatum liegt, wie eine löchrige Socke, die man noch gut stopfen könnte, wie ein Plastiksack oder ein Handy, weil es eine Funktion weniger hat als das neueste Modell. Wie der Esel der Karotte, rennen wir der Liebe hinterher, die uns verheissen wird, wenn wir endlich alle Bedingungen erfüllen. Wenn ich endlich dies und jenes habe oder bin, dann werde ich glücklich sein, dann werde ich geliebt, und dann kann ich mich auch endlich selbst lieben. Wir füllen die Leere in uns mit Süchten, weil wir uns sehnen, wir füllen die Leere in uns mit Konsum und lenken uns ab mit Arbeit, Sport und Spiel bis in die letzte Minute des Tages. Wir setzen uns einer dauernden Reizüberflutung aus, damit wir bloss nicht zur Ruhe und damit zu uns selbst finden. Damit wir bloss nicht das riesige Schwarze Loch in uns fühlen müssen. Wollen wir wirklich so leben? Wollen wir das tatsächlich noch länger als unsere Wirklichkeit hinnehmen?

Oder fangen wir an, eine neue Wirklichkeit zu erschaffen? Eine, in der wir um unserer selbst willen geliebt werden, weil wir genauso wie wir sind, vollkommen sind. In der unsere Einzigartigkeit ein Geschenk ist. In der die Vielfalt unserer Erscheinungsformen eine Bereicherung ist, anstatt einer Beleidigung. In der wir in uns selbst ruhen und wieder Zugang zu der Quelle in uns haben, die uns mit Liebe nährt.

Gemäss Wissenschaft sind Schwarze Löcher Tore in andere Dimensionen. Es braucht Mut, ein solches Tor zu durchschreiten, denn wir wissen nicht, was für eine Welt auf der anderen Seite auf uns wartet. Aber was haben wir zu verlieren? Eine Welt aus Schein und Oberflächlichkeit, aus Leistungsdruck bis zum Umfallen. Ich habe mich an den Rand meines Schwarzen Lochs gewagt. Langsam, Schritt für Schritt. Und ich habe einen Blick erhascht, in die Welt, die dahinter liegt. Es lohnt sich.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Seraphina (Samstag, 08 April 2017 22:47)

    Mega! Auf den Punkt gebracht